Das T-Modell der E-Klasse, seit Jahrzehnten ein ikonischer Taxi Raumgleiter ganzer Generationen und jedes Mal „der letzte echte Mercedes“, wird es bald nicht mehr geben. Im nächsten Jahrzehnt soll die nur noch in Deutschland populäre Karosserieform verschwinden. Aber noch gibt es sie, die robusten Alleskönner ohne SUV Optik. Wir haben uns einen fast mackenfreien Benziner vorgenommen, das letzte „Vierauge“ – ein echter Mercedes?
Sich scheidende Geister
Kaum eine Klassik-Fangemeinde beherbergt mehr Markenverteidiger als Mercedes-Benz. Wenn man sich in den Foren umhört oder Fans fragt, dann ist die Baureihe 123 ein unangefochtener Klassiker, der einen bis ans Ende der Welt bringt. Auch sein Nachfolger W 124 gilt als asketisch schlichtes Meisterwerk quasi ohne Mängel. So die Legenden. Alles danach bezeichnet man als Schrott, die von Rostproblemen geplagte Baureihe 210 (das erste „Vierauge“) sowieso und über den Nachfolger 211 spricht man gar nicht erst. Weil der schon vollgepackt mit Elektronik ist.
Vielleicht lohnt sich im Jahr 2022 einmal ein objektiver Blick über den Tellerrand der Sternchensuppe. Was der „letzte echte Mercedes“ ist, ändert sich sowieso alle 8 Jahre. Ein gepflegter W 210 ist technisch ausgereift und höchst komfortabel zu bewegen. Die Kombiversion der Baureihe 211 (bei Mercedes-Benz heißen die Kombis „T-Modell“) ist trotz der anfälligen Niveauregulierung mit Luftfedern riesengroß und ein tadelloser Held im Alltag. Und die bis 2016 gebaute Baureihe 212, das letzte E-Klasse Modell mit den eigentlich markentypischen vier „Augen“, hat von allem Guten etwas mitbekommen.
Eine Karosserie (fast) ohne Tadel
Wer einmal in einer E-Klasse unterwegs war, wird ihre Langstreckenqualitäten kennen. Die gehobene Mittelklasse zeichnet sich durch ein fast verschwenderisches Platzangebot, gute Kapselung und Verarbeitung und in neueren Baureihen auch durch innovative passive und aktive Sicherheitsassistenten aus. Unser 200 E „Blue Efficiency“ macht da keine Ausnahme. Am 10 Jahre alten Kombi sind nach etwas über 160.000 Kilometern nirgends gravierende Roststellen zu finden. Einzig der Träger der Mehrlenker-Hinterachse kann brutal durchrosten, das wird bei einem fachlichen Nachweis aber in einer Mercedes-Benz Niederlassung nach wie vor auf Kulanz ersetzt. Bei der C-Klasse übrigens auch.
Da geht was rein!
Im Innenraum eines 212er finden treue Mercedes-Fahrer alles da, wo sie es vermuten. Hochwertige, gut verarbeitete Materialien umgeben einen, wahlweise mit diesem Echtholz, was lackiert unechter aussieht als jedes Korea-Plastik. Das ist Geschmackssache. Wenn die Tür satt ins Schloss fällt, stellt sich sofort das „Trutzburg“ Gefühl ein. Das ist ein gutes Gefühl, sowohl für einen selbst als auch für die geliebten großen wie kleinen Mitreisenden. Kein nerviger Einarm-Wischer kratzt über die Windschutzscheibe, dafür fächert eine Zwei-Zonen-Klimaanlage angenehm Luft. Die Sitzheizung wärmt den herbstkalten Popo sogar auf Stoffsitzen und über das Stellrad auf der Mittelkonsole lässt sich das optionale COMAND System nach etwas Eingewöhnung gut bedienen.
Was außer der üppigen Serienausstattung an Bord ist wird teilweise über die Varianten „Elegance“ und „Avantgarde“ definiert, die sich noch durch ein Exklusiv Paket, ein Sport-Paket oder ein AMG Kit erweitern lassen. In allen Varianten gleich ist das Platzangebot, im T-Modell sind es je nach Stellung der Sitzbank 700 Liter bis 1200 Liter Stauraum. Das ist schon Sonderklasse.
Groß, schwer und kein Sparwunder
Was man von Downsizing, aerodynamischen Verbesserungen und weiteren Kraftstoff-Sparmaßnahmen hält bleibt jedem selbst überlassen. Im fast zwei Tonnen schwere Mercedes-Benz ist der 1,8 Liter Vierzylinder plus antiker 5-Gang Automatik eigentlich überfordert, was sich auch im Benzinverbrauch abzeichnet. Trotz BlueEfficiency, einem Maßnahmenpaket mit vielen Optimierungen für mehr Effizienz, sind weniger als 8 Liter Super E10 nur auf langen Überlandfahrten bei 100 km/h möglich. Die Diesel sind da etwas besser, erfüllen aber erst ab Ende 2013 die Euro 6 Norm. Hallo Umweltzone. Ein Kreuzfahrtschiff oder eine Airbus Beluga verbrauchen wesentlich mehr – und es geht fast genau so viel rein.
Schwachstellen
Bleiben wir bei den Motoren, hier gibt es tatsächlich keine gravierenden Mängel. Bei den Benzinern genau wie bei den Dieseln sollten die Steuerketten keine Geräusche machen. Ihr Zustand, und ob sie sich gelängt haben, lässt sich im Fachbetrieb vermessen. Vereinzelt gibt es Probleme mit einem verkokten AGR. Die Automaten gehen von archaischen fünf Gängen (bis 2011, aber unkaputtbar) über sechs Stufen bis zu den aktuellen 7 oder 9 Stufen Automaten. Bekommen sie regelmäßig eine Spülung, halten sie länger als das ganze Auto.
Bei unserem Modell ist die Welle des COMAND Reglers durchgebrochen. Das Plastikteil gibt’s auch in Aluminium, und mit einem kleinen Tutorial kann man das selbst austauschen. Nach hohen Laufleistungen melden hier und da einmal ein paar Fühler falsche Werte, die Warnlampen auslösen. Das kennt man von allen neueren E-Klassen. Das war’s dann aber auch schon.
Ersatzteillage
Die Baureihe 212 ist noch neu genug, um wirklich jedes Ersatzteil sowohl teuer direkt beim Hersteller oder preiswerter im Zubehör zu bekommen. Meistens wird man neue Fühler oder Sensoren benötigen, größere Reparaturen aufgrund von Verschleiß kommen nur bei hohen Laufleistungen und lassen sich im elektronischen Scheckheft vorhersehen. Wer sich so einen Raumgleiter als Familien- oder Lifestylekombi zulegt tut auch gut daran, ein Auslesegerät parat zu haben oder zu kaufen. Viele kleine Fehler werden elektronisch erfasst, der Fehlerspeicher erleichtert die Suche nach der Ursache. Bremsen, adaptive Stoßdämpfer und Fahrwerksteile sind alle problemlos zu bekommen.
Fazit:
Eine E-Klasse der Baureihe 212 lässt sich nicht mehr mit den Urgesteinen der Marke vergleichen, die noch immer in vielen Ländern im Alltag gefahren werden. Um dieses ausgereifte Fahrzeug über viele Jahre zu bewegen braucht es schon ein wenig Schrauberkönnen, ein Auslesegerät und Geld. Im Gegenzug fahren sich aber auch 10 Jahre alte, gepflegte Modelle wie ein Neuwagen und verrichten zuverlässig ihr Dienste. Der Komfort und das Platzangebot sind legendär, und es gibt erste Visionäre in den Foren, die vom „letzten echten Mercedes“ sprechen. Wie immer.
Mercedes-Benz
Bauzeitraum: 2009-2016
Karosserie: Limousine, Coupé, T-Modell
Motor: 1,8 Liter Vierzylinder Reihe
Leistung (PS): 184 bei 5.250 1/s
Getriebe: 5G-Tronic
Höchstgeschwindigkeit: 225 km/h
Leergewicht: 1920 kg
Preise 2022: 10.000 € – 20.000 €