Ist die erste C-Klasse wirklich eine „Zäh-Klasse“?

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C-Klasse
Schlicht, elegant und etwas erhaben

Nachdem Mercedes-Benz 1982 mit dem 190er der Baureihe 201 die eigene Kompaktklasse etablierte, schufen sie 1993 mit dem Nachfolger die Grundlage für eine immer noch sehr erfolgreiche Fahrzeuggeneration: Die C-Klasse. Wir beleuchten den ersten Vertreter der neuen Klasse im Alltag.

C-Klasse
Sachlich wie ein Schuhkarton, aber dabei zeitlos.

Ein echter Mercedes?

Eigentlich machte die erste C-Klasse alles besser als ihr ikonischer Vorgänger, der 190er „Baby Benz“. Die vom Altmeister Bruno Sacco gezeichnete Karosserie war praktischer, verwindungssteifer, bot bei ähnlichen äußeren Maßen mehr Platz im Innenraum und kam mit umfangreichen Komfort- und Sicherheitssystemen. Wenn da nicht diese elendigen Wasserbasislacke gewesen wären, mit denen man in den 90ern die Umwelt entlasten wollte. So denken heute viele bei der Baureihe 202 nicht mehr an „Saccos coolen Kompakten“, sondern fragen sich eher, wie ein einziges Auto an so vielen unkonventionellen Stellen so dermaßen rosten kann. Schade. Wir steigen mal ein.

C-Klasse
Ein Heck für die Freunde etwas zu großer Rückleuchten.

Wie eine kleine S-Klasse

Der weiße C 180, den wir hier quasi im rostfreien Jahreswagenzustand stehen haben, kommt von einer älteren Dame und wurde zeitlebens in der Vertragswerkstatt gepflegt und gewartet. Er hat noch keine 90.000 Kilometer auf dem digitalen Kilometerzähler und leuchtet regelrecht in der Abendsonne. Sein zeitloses Profil zeichnet die klassische 3-Box-Linie der aussterbenden Limousine. Von vorn sieht der Kompakte Viertürer fast wie eine kleine S-Klasse der Baureihe 140 aus (die „Helmut Kohl S-Klasse“ mit dem Sylt-Problem…), von hinten wie der gezeichnete Entwurf eines Kindes, was große, dreieckige Rücklichter richtig toll findet.

Mercedes-Benz
Stoff und Muster für Freunde von Farben

Man nennt das wohl zeitgenössisch…

Innen umschmeicheln uns, je nach Ausstattung und Erstbesitzergeschmack, Holzleisten, dicke Knöpfe und farbige Polster und Teppiche. Das geht von mausgrau über dunkelrot bis in Dimensionen, bei denen man sich fragt, ob die 70er Jahre wirklich so schlimm waren. Oder ob die 90er das nicht noch toppen. Rot, blau und grün bis hin ins Armaturenbrett und das Lenkrad wurden gern geordert und sehen irgendwie cool aus. Mutig. Wären da nicht zeitgenössische Musterungen direkt aus der Hölle oder zumindest direkt von einem Fußbodenteppich aus einem nach der Wende renovierten ostdeutschen Hotel. Das kann man mögen. Muss man aber nicht.

Mercedes-Benz
Hinten gibt’s eine Armlehne, aber nicht viel Platz

In unserem relativ geschmackvoll blau gemusterten C 180 sitzt es sich ein bisschen wie in einer E-Klasse aus dem Zeitraum, nur viel beengter. Das subjektive Raumgefühl ist eher VW als Mercedes-Benz, auch wenn man objektiv durchaus eine Menge Platz hat (ich bin 1,90m groß). Es ist ein „Elegance“, diese Ausstattung hob sich vom Basismodell durch elektrische Fensterheber, Mittelarmlehnen und allerhand Täschchen vorn und hinten und Zebrano-Holzzierleisten ab. Mercedestypisch gab es auch für die anderen Varianten „Classic“, „Esprit“ und „Sport“ noch seitenlange Listen an Optionen, so dass sich jeder Käufer seine individuelle C-Klasse konfigurieren konnte.

C-Klasse
Sachlich und funktionell, typisch 90er

Motoren in Reihe oder V

Der neu konstruierte Vierzylinder M 111 ist als C 180 mit 122 PS definitiv kein Sportwagen, deshalb bekam der kompakte Mercedes später auch den Beinamen „Zäh-Klasse“. Die Frage ist, wie viel Beschleunigung ein Mensch braucht, um sein Auto ernst zu nehmen. Meiner Meinung nach reicht’s für eine kompakte, viertürige Limousine allemal. Mehr Bumms lieferten Kompressoren oder die größeren Hubräume bis hin zum klassischen Reihensechser M 104 im C 280. Kostverächter sind die alle nicht, weniger als 10 Liter Super sind sogar im kleinsten Modell eher selten. An der evolutionären Speerspitze stehen die AMG Modelle C 36, C 43 und der extrem seltene V8 im C 55. Eine Wahnsinnskarre.

C-Klasse
Übersichtliche und reparaturfreundliche Motoren

Die kleinen Vierzylinder drehen an dem serienmäßigen 5-Gang-Schaltgetriebe laut und humorvoll vor sich hin und machen alles, was sie sollen. Wer wollte, konnte eine 4-Gang Automatik ordern, damit wurde der Vortrieb ab 100 Sachen aber weder sparsamer noch leiser. Ein C 180 fährt sich auf der Autobahn eher wie ein älterer VW Golf. Er wird direkt, er wird laut und er besitzt tatsächlich absolut keine Elastizität. Das ist völlig okay, aber viele sprechen ihm daher den „echten Mercedes“ ab, die Dieselmotoren machen diesen Eindruck nicht besser. Dieses erhabene, gleitende Gefühl, was der 190er noch hatte, kommt in der ersten C-Klasse einfach nicht auf. Muss es auch nicht, aber es sollte mal erwähnt werden.

Motor
Der C 180 hat immerhin 122PS

Zuverlässig und einfach

Vielleicht ist es aber auch gar nicht dieses „Mercedes-Gefühl“, was sich in einem Fahrzeug wie der C-Klasse breitmachen muss. Sie zeichnet etwas Anderes aus: Ihre Schlichtheit, ihre Einfachheit und trotzdem ihre gefühlte passive Sicherheit. Natürlich ist so ein Auto mehr als nur „was nicht dran ist, kann auch nicht kaputt gehen“. Für ihre Zeit war die C-Klasse durchaus ein komfortables Fahrzeug. Aber gerade aus heutiger Sicht ist das Interieur angenehm aufgeräumt, und nur wenige technische Helferchen neigen dazu, einem den Alltag zu verderben. Das entspannt.

C-Klasse
Im SUV Zeitalter wirkt ein „Kofferraum“ fast schon antiquiert

Nach der kleinen Modellpflege zogen mit der großen Modellpflege 1997 Seitenairbags, Gurtkraftbegrenzer und Bremsassistenten in das jetzt mit einem CAN Bus ausgestattete Fahrzeug ein – aber die grundsätzliche Zuverlässigkeit bleibt. Manchmal fällt eine Lampe aus (und im Cockpit wird gemeckert), manchmal zickt eine Wegfahrsperre und die Überholung der Raumlenkerhinterachse ist nach vielen Kilometern recht aufwendig. Aber die Summe seiner schlichten Tugenden macht den C 180 zu einem echten Freund, der einem fast alles verzeiht. Der zuverlässig jeden Morgen anspringt, und für den es noch die allermeisten Ersatzteile wie Querlenker, Koppelstangen, Radlager, Bremsen oder Auspuffanlagen entweder direkt beim Hersteller oder in guter Erstausrüsterqualität auch bei uns gibt.

Mercedes-Benz
Ersatzteile sind kein Problem.

Rost und gut

Nur eben dieser Rost…. Allerdings sollten inzwischen die meisten der damals betroffenen Modelle entsorgt oder exportiert worden sein. Mangelhafte Lackschichten haben bei einigen Fahrzeugen tatsächlich verheerende Auswirkungen gehabt, andere wiederum sind quasi rostfrei, wie unser „Sternchen“ auf den Bildern. Wer sich so eine gepflegte Baureihe 202 jetzt sichert und sie nachträglich konserviert, wird noch jahrelang Freude an dem kleinen Viertürer haben. Zuverlässigkeit und Vertrauen in die einfache Technik können eine Menge Entspannung in einen unruhigen Alltag bringen. Und das können wir doch alle zur Zeit ganz gut gebrauchen…

 

Mercedes-Benz C180 (W 202)

Bauzeitraum: 1993 – 2001

Karosserien: Limousine, Kombi

Benzinmotoren: 1,8 Liter – 5,4 Liter

Dieselmotoren: 2,0 – 2,5 Liter

Stückzahl: 1.847.382

Preise 2023: 1.000 € – 8.000 €

C-Klasse