Erstmals mit Achtzylinder, und zum letzten Mal mit wuchtigem Chrom – der Mercedes-Benz SL der Baureihe R 107 wurde fast 18 Jahre lang quasi unverändert gebaut, von Promis und Privatleuten geliebt und ist heute ein robuster Einstiegs-Klassiker mit inneren Werten. Wir schauen ihm mal unter die Haube.
Spielzeug der Besserverdienenden
Jennifer Hart (aber herzlich) im Fernsehen, Christopher Lee, Uschi Glas, Curd Jürgens und Hardy Krüger auch privat. Die Liste ist noch viel länger, aber eins ist klar: der letzte „klassische“, chrombeladene Roadster SL oder sein längerer Coupé-Bruder SLC ließen sich in den 70ern und 80ern sowohl vor der Oper parken als auch nach Südfrankreich in den Urlaub mitnehmen. Der elegante Auftritt war damals und ist heute unangetastet. Was damals noch als Zweitwagen der Reichen und Schönen einen leichten Snobismus ausstrahlte, zeugt heute von Geschmack und der Liebe zum Zeitgeist.
Die S-Klasse mit nur zwei Sitzen
Man muss ihn nicht mögen, den zweisitzigen Nachfolger der „Pagode“ aus der Feder von Friedrich Geiger. Aber er macht es einem nicht schwer. Die Baureihe R 107 nimmt viele Designelemente der 1972 vorgestellten S-Klasse (W 116) vorweg und ist in seiner zeitlosen Eleganz alles andere als „Super Leicht“ (wofür SL steht). Seine lange Bauzeit, seine große Motorenvielfalt und die Tatsache, dass er ein absoluter Exportschlager war, hinterlassen heute ein buntes, vielfältiges Angebot auf dem Markt. Der SL wirkt in sich stimmig und schnittig, ist aber trotzdem erstaunlich groß und bietet viel mehr Komfort, als man einem Roadster zutrauen würde.
Für jeden der passende Motor
Ob ihr euch für einen 280er Sechszylinder mit Gullydeckeln entscheidet, einen fetten 560er Achtzylinder mit BBS Felgen als Re-Import oder irgendwas dazwischen – wer generell mit einem SL liebäugelt, wird sein Wunschfahrzeug finden. Dabei fahren sich die handgeschalteten Sechszylinder tatsächlich ein wenig wie ein Roadster, die größeren und gut ausgestatteten V8 wiederum schieben eher wie eine gediegene S-Klasse über den Highway.
Dabei sind alle Triebwerke grundsätzlich standfest und bei regelmäßiger Wartung auch heute noch gut im Alltag einsetzbar. Bei hohen Laufleistungen sollte den Steuerketten ein Ohr geliehen werden. Die wegen der Ölkrise übernommenen Sechszylinder, die auch in späteren S-Klassen erhältlich waren, lassen dem Selbstmacher noch ein bisschen Platz zum Schrauben im Motorraum. Die V8 Motoren ab dem 350 SL füllen den Raum unter der langen Motorhaube plus Klimaanlage und Servolenkung schon ganz gut aus. Einen dezenten, kraftvollen Sound haben sie alle, wobei die Achtzylinder schon einen Hauch Amerika rüberbringen.
Exportmodell oder Europa?
Überhaupt, Amerika. Mehr als 170.000 Stück vom R 107 wurden in die USA exportiert. An den dort üblichen, wuchtigen Sicherheitsbumpern vorn und hinten sowie den runden Sealed Beam Doppelscheinwerfern scheiden sich die europäischen Geister und Geschmäcker. Man mag sie, oder man mag sie nicht. Viele nordamerikanische Modelle haben wenig Rost (aber nicht alle!), dafür sind das Interieur und der Lack aber von der Sonne verbrannt. Generell kostet auch ein amerikanischer SL im guten Zustand nicht weniger als ein europäischer. Und denkt gar nicht erst daran, US Stoßstangen und Scheinwerfer eines preiswerten Schnäppchens „einfach so“ gegen die Teile aus Europa auszutauschen. Das wollen viele. Die kosten deshalb fast mehr als ein komplettes Fahrzeug.
Nichts für Sitzriesen
Im Inneren gibt sich ein SL der Baureihe R 107, wie es sich für einen „echten Mercedes“ gehört. Die Ausstattung ist üppig, Material und Haptik der Knöpfe und Schalter sind hochwertig und der Mix aus sportlichen Rundinstrumenten und dicken, ebenfalls runden Lüftungsdüsen hat viel Charme. Ob mit Hardtop oder Stoffverdeck – vorn im SL sitzt man zwar bequem, aber für große Menschen (über 1,90) ist nach oben nicht mehr viel Platz. Der optionale Notsitz im SL ist nicht mal für Kindersitze zu gebrauchen. Wer einen Rücksitz möchte, greift zum 36 cm längeren SLC mit festem Dach. Da ist nach oben allerdings auch nicht mehr Raum.
Die Artenvielfalt in Farbe und Funktion im Innenraum ist Fluch und Segen zugleich. Leder oder Stoff, mit oder ohne Chrom in allen erdenklichen Farbkombinationen passen entweder wie Faust aufs Auge oder stellen den Geschmack auf eine harte Probe. Und wie so oft bei Klassikern dauert es manchmal Jahre, ein gebrauchtes Interieurteil in der richtigen Farbe zu einem akzeptablen Preis zu finden.
Alles ist zu bekommen
Wenn es allerdings um die Technik und die Verschleißteile geht, bekommt man eigentlich alles neu gekauft. Kühler und Wärmetauscher, Zündung oder Bremsen – dank der langen Bauzeit und der großen Stückzahl spielt hier das Baukastensystem von Mercedes-Benz auch für den kleineren Geldbeutel eine große Rolle. Viele Macken haben die Modelle auch nicht. Die meisten teuren Reparaturen resultieren aus einem Wartungsstau.
So gibt es die üblichen Rostprobleme an den Schwellern, dem Scheibenrahmen, den Radläufen oder den Lampentöpfen. Die ab 1985 montierten Innenkotflügel schützen Stehbleche und Rahmen recht gut vor der braunen Pest. Ölundichtigkeiten am Differential sind genau so häufig wie ausgeschlagene Lenkgetriebe oder Kugelgelenke. Und die patentierten, geriffelten Rückleuchten (ein fast schon ikonisches Stilelement dieser Zeit) verblassen oder reißen ein. Aber auch bei günstigen Verschleißteilen gilt: Ein SL ist ein Fahrzeug der Oberklasse. Fachgerechte Reparaturen waren schon immer teuer und sind es auch heute noch.
Fazit:
Ein Mercedes-Benz SL der Baureihe R 107 ist auch nach 50 Jahren ein im Kern zuverlässiges, robustes Fahrzeug. Dabei können Fahrzeuge im unteren Preisbereich viele teure Überraschungen parat halten. Vor allem bei Re-Importen aus den USA oder Japan ist oft die Historie nicht lückenlos, und es sind Ersatzteile verbaut worden, die den europäischen Richtlinien nicht entsprechen. Je nach Vorlieben oder dem persönlichen Perfektionismus bekommt man bei diesem SL aber grundsätzlich eine Menge Auto für sein Geld!
Während die frühen Modelle viel rauen Zeitgeist mitbringen, sind die späteren mit ABS und Kat schon fast auf der Höhe der Zeit. Über den Benzinverbrauch unterhält man sich bei so einem Fahrzeug ohnehin nicht. Er verbraucht Benzin. Punkt. Die Preise für gesunde Fahrzeuge ziehen langsam an, wenn man sich die Preisentwicklung des Vorgängers W 113 (Pagode) anschaut dann sollte man jetzt zugreifen. Billiger werden sie nicht. Und jünger auch nicht. Aber das betrifft uns ja alle…
Sandmann
Mercedes-Benz SL / SLC (R 107)
Bauzeitraum: 1971-1989 (SLC bis 1981)
Karosserien: Coupé, Roadster mit Hardtop
Benzinmotoren: 2,8 Liter – 5,6 Liter
Stückzahl: 237.289
Preise 2022: 15.000 € – 80.000 €